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Am Morgen waren wir nach dem Frühstück in der Auberge Chez Amaliya und einem Plausch an der Rezeption in Tafraoute gestartet und hatten nach zwei Stunden Fahrt dann den Parkplatz an der Kasbah Afayane Inoumare erreicht. Von hier aus folgten wir dem Steinweg hinunter zum Agadir, Bilder davon auf der ersten Seite Agadir Inoumar.
Im Inneren war gerade eine deutsche Reisegruppe mit eigenem Reiseleiter unterwegs. Gleichzeitig mit uns trafen noch zwei Franzosen ein. Abderrahman, der hier geboren wurde und dessen Vater ebenfalls schon Wächter war, spricht Französisch und Arabisch, aber auch ausreichend Englisch, um sich verständigen zu können. Er begleitete die Franzosen als Führer, und wir durften so lange wir wollten alleine fotografierend umherstreifen. Diese Gelegenheit haben wir genutzt - ich habe so viele Fotos gemacht, dass ich sie hier gar nicht alle zeigen kann.
Der Agadir Inoumar erstreckt sich über mehrere Gebäudeteile innerhalb der Schutzmauern und umfasst insgesamt 295 kleine Lagerräume in bis zu drei Etagen übereinander, die dicke, isolierende Wände aus Stein und Lehm und eine abschließbare Holztür haben. Die Dächer und Balken bestehen aus Arganholz und Oleander, während die Säulen aus Baumstämmen gefertigt sind. Architektonisch ist die Anlage besonders beeindruckend, da sie sich perfekt in die Landschaft einfügt. Große flache Trittsteine, die aus den Wänden ragen, dienen als einfache Treppen, um die oberen Ebenen zu erreichen. Jede der Kammern ist etwa zwei Meter Breit und sechs Meter tief, aber nur etwa eineinhalb Meter hoch.
Jede Familie, die am Bau beteiligt war, erhielt eine eigene Speicherkammer, die als wertvolles Familiengut über Generationen weitergegeben wurde. In dieser trockenen Region war nur etwa jede fünfte Ernte ertragreich. In solchen Speicherburgen konnten die kargen und unsicheren Erträge wie Gerste, Mandeln, Datteln und Feigen sowie verarbeitete Lebensmittel wie geschmolzene Butter, Trockenfleisch, Honig, Oliven- und Arganöl gelagert werden. Dank der besonderen Konstruktion sollen sich in den Kammern Gerste bis zu 25 Jahre, Mandeln bis zu 20 Jahre und die Früchte des Arganbaumes sogar bis zu 30 Jahre lagern lassen.
Auch wertvollere Besitztümer wie Urkunden, Geld, Schmuck, Silber, Henna, Kleidung, Teppiche sowie Waffen und Munition wurden hier geschützt. Kurz gesagt: Alles, was von Wert war, wurde im Agadir sicher verwahrt. Der französische Archäologe Jacques Meunié hat dazu um 1951 einige Studien veröffentlicht, die noch heute Gültigkeit haben.
Der Agadir Inoumar hatte auch eine Verteidigungsfunktion und diente während Stammeskonflikten als Zufluchtsort für Frauen, Kinder und ältere Menschen. Vier Wachtürme, von denen heute noch zwei erhalten sind, verstärkten diese Schutzfunktion. Der Speicherkomplex umfasste zudem eine Zisterne, eine Moschee und Unterkünfte für Vieh, was ihn zu einem autarken Rückzugsort machte.
Schade, dass die einst sehr kunstvoll verzierten und geschnitzten Türen im Laufe der Jahrhunderte verbrannt oder an Antiquitätenhändler verscherbelt wurden. Heute sind sie teilweise durch einfache Holztüren mit modernen Vorhängeschlössern ersetzt.
Am Eingang kann man noch einige der alten Schlösser und einige Ackergeräte sehen. Die ältesten Schlösser waren aus Holz gefertigt, ebenso wie die passenden Schlüssel und funktionieren etwas anders als die heute üblichen Zylinder-Dreh-Schlösser.
Das Innere des ummauerten und von vier gedrungenen Ecktürmen eingerahmten Areals ist in mehrere Reihen mit neben- und übereinander angeordneten Speicherkammern unterteilt. Für den äußeren und inneren Schutz des Agadir wurden Wachen aus der Dorfgemeinschaft eingesetzt. Ein permanenter Wächter, der Amin, sorgte für die Sicherheit im Inneren. Er wohnte mit seiner Familie im Speicher, schloss abends die Tür und öffnete sie morgens wieder. Der heutige Wächter, Abderrahman, wurde hier geboren und lebte mit Vater, Mutter und drei Schwestern viele Jahre in den zwei kleinen Räumen, in denen heute der Tee serviert wird.
Stammesfremden, Frauen und Juden war der Zutritt nicht gestattet. Der Agadir wurde ständig von Angehörigen der verschiedenen Dörfer - in diesem Fall 14 - bewacht, wodurch auch eine gegenseitige Kontrolle gewährleistet wurde. Im Gegensatz zu den als schmutzig empfundenen und deswegen im Speicher unerwünschten Hunden wurde die Anwesenheit von Katzen sogar gefördert. Sie konnten durch teilweise eigens dafür angefertigte Öffnungen in alle Kammern gelangen, um Mäuse und Ratten zu jagen. Der Amin wurde von den Kammerbesitzern mit Lebensmitteln und kleinen Geschenken entlohnt, seltener mit Geld.
Alles, was die Kammern betraf, wurde in einem Gesetzbuch der Gewohnheitsrechte - hier "Louh" genannt - festgehalten. So ein Buch befand sich in jedem Speicher und wurde entweder auf Papier oder Holz geschrieben. Es regelte alle wichtigen Belange: nachbarschaftliche Verhältnisse, den Besitz der Kammern, Zuständigkeiten für Reparaturen, Strafen für Gesetzesverstöße, die Entlohnung des Wächters sowie den Zugang zu den gelagerten Gütern.
Am Ende unseres Rundgangs - die deutsche Reisegruppe mit ihren eigenen Guides war längst ohne Tee weitergezogen - wurden wir noch zu einem Tee in den Räumen der ehemaligen Wohnung des Amin eingeladen. Auf gemütlichen Bänken saßen wir mit den beiden Franzosen, Abderrahman und seinem anwesenden Freund zusammen und genossen den Tee. In der Ecke ein Portrait des verstorbenen Vaters, der hier Jahrzehnte lang Wächter war. Zum Tee gab es Erdnüsse mit Honig und Sesam sowie zwei weitere Knabbereien und Informationen, soweit es unsere begrenzten Sprachkenntnisse zuließen.
Dann zahlten wir den Eintritt von 50 MAD pro Person und machten uns auf den Weg in Richtung Les Trois Paons, unserer nächsten Unterkunft nahe Taroudant.
Keine Beschreibung und kein Bild kann die Schönheit und Größe dieses Denkmals wirklich ausdrücken - wir haben es jedenfalls nicht bereut, diesen abgelegenen Ort besucht zu haben.
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